Predigt zu Psalm 85, 9-14 von Pfarrerin Stefanie Stock
(Erlangen, Neustadt, gehalten im November 2015)
Liebe Gemeinde!
Willkommen zur heutigen Sonntagsandacht am drittletzten Sonntag des Kirchenjahres!
Der Wochenspruch für diese Woche steht bei Matthäus 5,9:
“Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heissen”.
Zum Lesen:
Psalm 85, 9-14 bzw. EG.E 74
Predigt:
Ganz großes Kino. Nach bangem Hin und Her, nach aufgeflammter und wieder erstickter Hoffnung, am Ende passiert er dann doch: der große Kuss auf der Leinwand. Je mehr während des Films auf dem Spiel stand, je mehr sie die Situationen und Emotionen der Personen mitrissen, umso mehr fühlten die Zuschauer auch am Ende mit, als sich zwei in den Armen liegen und küssen. In eine andere Realität einzutauchen, ja eigentlich eine Fiktion für kurze Zeit Realität werden zu lassen: das bringt Menschen dazu, ins Kino zu gehen. Mit hinein genommen werde sie samt ihrer Hoffnungen und Sehnsüchte nach der Auflösung von Irrungen und Wirrungen. Steht am Ende der Kuss, ist die Sehnsucht nach ein bisschen heiler Welt erfüllt; bleibt er aus, bleibt auch irgendetwas im Inneren der Zuschauer offen und unfertig. Ganz großes Kino ist unser Predigttext heute: der 85. Psalm. Dieser Psalm ga?be ausreichend Stoff fu?r einen Film. Zwischen Zorn und Freude sind alle Gefu?hlszusta?nde dabei. Es ist die Geschichte eines in Zorn entbrannten Gottes. Die Liebesgeschichte zwischen ihm und seinem Volk scheint vor dem Aus zu stehen.
Doch es gibt Hoffnung auf Heil. Wir hören:
9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, damit sie nicht in Torheit geraten.
10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne;
11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen;
12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue;
13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe;
14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.
Es sind einige Szenen, die uns hier begegnen: In der ersten wird Gott daran erinnert, dass er ja schon einmal gnädig gehandelt hat. Er hat schon einmal seinen Zorn gegenüber seinem Volk fahren lassen. Diese Szene ist ein Schwenk in die Vergangenheit. Dann kommt die Gegenwart in den Blick: Gott wird aktuell um Gnade gebeten und damit um Grund zur Freude. „Gnade“ und „Heil“ sind die großen Begriffe. Der dritte Teil blickt in die Zukunft: Der Sprecher möchte nicht nur Sprecher sein, sondern Hörer. Er wu?nscht von Gott zu hören, dass dieser Frieden zusagt. Ein weiters großes Wort. Nach einem Cut geht es ins große Finale: Hier haben wir ein wunderbares, filmreifes Bild. Gerechtigkeit und
Friede ku?ssen sich. Schauen wir ein Augenblick genauer auf die beiden Protagonisten, die da zusammen kommen: Gerechtigkeit und Friede. Was ist gerecht? Was ist Gerechtigkeit? Stellen wir uns eine Umfrage auf der Straße vor: „Sage spontan, was Du unter
Gerechtigkeit verstehst.“ Antworten könnten lauten: „Jeder kriegt das, was er verdient hat. Gleicher Lohn fu?r gleiche Arbeit. Gleiche Strafe fu?r das gleiche Vergehen. Gerechtigkeit ist Gleichheit.“
Gott jedoch hat seine eigene Kategorie von Gerechtigkeit. Auch Gottes Zorn ist eine
Größe, mit der in der Hebra?ischen Bibel immer gerechnet wird. Aber seine Gerechtigkeit erweist er gerade darin, dass er diesen Zorn u?berwinden kann, fahren la?sst und sich wieder und wieder zuwendet in Gu?te und Treue.
So wird schließlich Barmherzigkeit als Gottes Gerechtigkeit erkannt und gepriesen. Gott ist der, der Recht schafft, indem er auf die Ausu?bung seines Zorns, auf die verdiente Strafe verzichtet und seine Treue darin erweist, dass er von sich aus diese zerbrochene Beziehung aufrichtet. Gerechtigkeit ist nicht das Einhalten von Prinzipien. Gerechtigkeit meint, dass auch nach schlimmstem Versagen ein Neuanfang möglich ist durch Glauben/ durch Vertrauen darauf, dass Gott unser guter Gott ist. Das hat Luther auch so verstanden. Wir lange war er auf der Suche nach innerem Frieden gewesen, bis er erkannte: Gottes Gerechtigkeit ist nichts was man sich verdienen kann, sondern was einem im Glauben geschenkt wird: durch Christi Tat, von außerhalb unseres Selbst durch Gottes Gnade. Diese Erkenntnis schaffte Luther inneren Frieden. Auch unser Psalm verbindet Gerechtigkeit untrennbar mit dem Frieden. Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit eines Krieges. Der hebra?ische Schalom hat eine breite, umfassende Bedeutung. Schalom kann nicht nur mit „Friede“, sondern auch mit „Wohlergehen“ u?bersetzt werden. Schalom ist ein Leben in Wu?rde und Freiheit. Gerechtigkeit und Friede. Friede und Gerechtigkeit. Fu?r den Psalmbeter ist eines ohne das andere nicht denkbar.
Sie korrigieren sich gegenseitig und vollenden sich. Es gibt auch einen scheinbaren und faulen Frieden, in dem nicht die Gerechtigkeit regiert und Wohlergehen herrscht. Friede und Gerechtigkeit gehören eben unlösbar zusammen – wie zwei, die in einem Kuss miteinander verschmelzen.
Wie sieht es in unserm Land mit Gerechtigkeit und Frieden aus? …… Im Moment: Es wirken sich Ungerechtigkeiten auf den Wohlstand und Wohlergehen aus. Wer nur im Niedriglohnsektor arbeitet hat quasi keine Chance sein Leben im Wohl zu genießen; Die Umverteilung von Vermögen gelingt auch nicht wie es wünschenswert wäre: die Schere zwischen Arm und Reich wächst etwas, der Mittelstand wird immer kleiner. Aber im Großen und Ganzen geht es uns gut, oder? Andere haben Ängste und schüren Ängste – was wird aus unserem Wohlstand? Uns steht nicht nur vor Augen, sondern wir sehen es inzwischen vor unseren Türen, dass es in unserer Welt nicht gerecht zu geht, dass es andere Menschen so viel schlechter haben als wir. Uns fällt es zunehmend schwerer, die Augen zu zu machen. Denn es reicht nicht mehr, dass wir den Fernseher ausschalten um wieder in einer anderen, heilen, Welt zu sein. Ungerechtigkeit und fehlender Frieden sind eben nicht nur Inhalte aus Kinofilmen, sondern Realität von Menschen, die nun real bei uns leben wollen. Als Luther Gottes Gerechtigkeit verstand, dass Gott seinen Zorn überwindet, wie es im ersten Teil unseres Psalms heißt, dass Gottes Gerechtigkeit eben Treue und Güte sind, da konnte auch er, Luther, seine Angst und Ängste fahren lassen.
Und das ist genau das, liebe Gemeinde, was ich uns wünsche, dass auch wir unsere Angst fahren lassen können – gegenüber Gott, weil wir von ihm Heil und Gnade erwarten; Ebenso, dass wir auch unsere Angst fahren lassen können, ob es uns weiterhin wohl ergeht, wenn wir anderen gegenüber so gnädig, barmherzig und auch gerecht handeln, wie Gott gegenüber uns. Gerechtigkeit und Frieden sollen sich vereinen, einander küssen. Bleibt das in dieser Welt ein schöner Traum – wie in einem Film? Die Psalmbeter beten dafür, dass Fiktion Realität wird. Der Kuss von Gerechtigkeit und Friede ist eine göttliche Verheißung, ein Versprechen auf Realität hin. Die Beter dieses Psalms (und damit auch wir) sind getragen von der Sehnsucht auf diese Verheißung hin: Auf ein Happy End. Diese Sehnsucht nach dem wahren Leben, der Auflösung aller Ungerechtigkeiten und der Verschmelzung mit dem Frieden. Im Kino und auch im wahren Leben muss der Weg voll von Enttäuschungen und Missversta?ndnissen erst noch durchschritten werden. Die Sehnsucht hin zum erlösenden Kuss la?sst uns mitgehen. La?sst uns im Kino mit zittern, mitleiden und erst am Ende aufatmen. Diese Sehnsucht la?sst uns als Christen beten und singen; und tatkra?ftig auf Gottes großes Versprechen zugehen.
Wir sind in unserer Welt nicht nur Zuschauer. Wenn auch der große Kuss von Gerechtigkeit und Friede, der alles andere überstrahlt noch aussteht, so deutet sich auch in jedem Film schon an, auf welches Ende er im besten Fall hinaus laufen wird. So ist es an uns schon jetzt mit Gerechtigkeit und Frieden Hand in Hand durch unsere Straßen und durch unser Leben zu gehen, so dass sie für uns und andere im Kleinen erlebbar sind. AMEN.
(Anmerkung: Inspiriert ist die Predigt durch eine Predigt von ESG-Pfarrer Michael Pues, die mir so zusagte, dass ich sie für meine Predigt verwendete, politisierte, und veränderte.)
Dank- und Fürbittengebet
Gott, das ist uns Menschen so vertraut: Zu klagen über den Lauf der Welt, zu zweifeln angesichts unserer Erfahrungen, entmutigt zu sein, weil das Leben soviel Mühe macht. Doch Christus ist gekommen als der Künder deines Reiches, so dass wir Hoffnung haben sollen.
Um seinetwillen wollen wir nicht müde aufgeben und verzagen, sondern um dein Reich bitten und rufen: Herr, erhöre unser Gebet
Öffne uns den Blick für deine Herrschaft in unseren Kirchen, dass die Menschen in ihnen zuversichtlich, frei und geborgen leben können. Wir rufen: Herr, erhöre unser Gebet
Öffne uns den Blick für deine Herrschaft in der Vielfalt der Völker, dass Frauen und Männer, Einheimische und Fremde, Starke und Schwache geachtet werden als deine Ebenbilder. Wir rufen: Herr, erhöre unser Gebet
Öffne uns den Blick für deine Herrschaft in unserem Miteinander, damit wir herausfinden aus der Zerstreuung hin zur Sammlung, aus dem Schein in die Wirklichkeit, aus der Lüge in die Wahrheit. Wir rufen: Herr, erhöre unser Gebet
Öffne uns den Blick für deine Herrschaft im eigenen Leben, dass Hoffnungslosigkeit überwunden wird, Sprachlosigkeit ein Ende findet, Beziehungslosigkeit sich in Nähe und Verstehen wandeln kann. Wir rufen: Herr, erhöre unser Gebet
Öffne uns den Blick für deine Herrschaft über alle irdischen Grenzen hinaus, dass der Tod nicht der letzte Herr ist, sondern wir Aussicht haben auf deine Vollendung und unsere Verstorbenen geborgen sind bei dir zu ewigem Frieden. Wir rufen: Herr, erhöre unser Gebet.
All unsere weiteren Bitten legen wir hinein in das Gebet Jesu
Vater unser, der Du bis im Himmel….
… AMEN
Wir wünschen Euch/Ihnen einen schönen Sonntag und eine segensreiche Woche!
Ihr Prädikantenteam